Was meinen Sie, welche Antwort erhalte ich von Lehrlingen bzw. Azubis im 1. Lehrjahr auf meine Frage: "Warum hast du dich für einen Lehrberuf in diesem Unternehmen entschieden?"
Bei jeder Antwort, die ich erhalte kommt immer dieser Punkt vor: "Die Freundlichkeit und wie mich die Mitarbeiter aufgenommen haben." Bei der Entscheidungswahl für oder
gegen eine Lehrstelle im Unternehmen ist also mitunter am wichtigsten, wie die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die oder den Jugendlichen aufnehmen.
Die Freundlichkeit und wie Lehrlinge aufgenommen werden, sind entscheidend für die Wahl des Unternehmens und somit der Lehrstelle.
Das heißt, es ist entscheidend, wie sie dem Jugendlichen begegnen. Ist es wertschätzend und herzlich oder ablehnend und genervt? Die Jugendlichen spüren sehr deutlich, ob MitarbeiterInnen ehrlich und echt sind, oder ob das Lehrlingscasting, der Schnuppertag oder die Ausbildung von Lehrlingen eine lästige Pflicht sind. Lehrlingsausbilder haben eine sehr große Verantwortung, weil sie permanent die Lehrlingsausbildung, das Unternehmen und natürlich sich selbst als Vorbilder repräsentieren. Darum ist es sehr wichtig, dass man sich als Unternehmen und AusbilderIn ernsthaft Gedanken macht, wie man den Jugendlichen begegnet.
Freundlichkeit ist nicht bezogen auf "Zuckerl", die während der Lehrzeit versprochen werden, sondern sie ist bezogen auf den Umgang untereinander.
Der Umgang untereinander ist sichtbar und spürbar zum Beispiel über die Art und Weise der Kommunikation zwischen ArbeitskollegInnen oder, ob sich MitarbeiterInnen untereinander unterstützen und sich helfen. Diese Punkte spürt der Jugendliche in relativ kurzer Zeit und sind entscheidend bei der Lehrstellenwahl.
Zu diesem Thema passt ein weiterer, sehr wichtiger Punkt für die Beginnzeit der Ausbildung. Es ist das Thema "Struktur". Unter Struktur verstehe ich folgendes:
wie ist der Ablauf der ersten Arbeitswoche,
welche Gespräche gibt es und,
wann werden sie geführt,
wie gestaltet sich das erste Lehrjahr,
welche Veranstaltungen und Weiterbildungen darf der Lehrling besuchen,
wie gestaltet sich die Berufsschule,
was ist, wenn es Lernschwierigkeiten gibt usw.
Diese Fragen sollten in der ersten Arbeitswoche beantwortet werden.
Struktur erzeugt Orientierung und folglich Sicherheit
Damit wirkt die Struktur direkt auf das Betriebsklima ein. Denn je mehr Sicherheit der Arbeitsplatz ausstrahlt, desto wohler fühlt sich der Lehrling und desto motivierter ist sie/er. Vielen Lehrlingen ist gerade in der Anfangszeit eine fixe Zuteilung zu einer Ausbilderin, einem Ausbilder sehr wichtig. Das kommt daher, weil sie sich dann geführter und auch willkommener fühlen. Willkommener deshalb, denn wenn man sich vorstellt, dass es im Unternehmen vielleicht Lehrlinge gibt, die fix zugeteilt sind und Lehrlinge, die das nicht sind. Dann können jene Lehrlinge ohne fixe Ausbilder das Gefühl haben, sie sind nicht erwünscht, es gibt keinen Platz für sie und sie werden von Einem zum Anderen geschoben.
Den Einstieg in das Berufsleben kann man sich vorstellen, wie den Einstieg in ein neues Leben
Es geht hinaus aus der Familie, aus dem gewohnten Umfeld mit Schule, Freunde, Eltern und rein in ein neues Leben. Am Beginn ist das einigen Jugendlichen noch nicht so bewusst, aber sie spüren es massiv während der ersten Arbeitswochen. Es gibt Jugendliche, die die neue Situation sehr gut annehmen und es gibt aber auch Jugendliche, die für diese Umstellung längere Zeit benötigen. Das hängt zum einen vom Lehrberuf ab, zum anderen natürlich vom familiären und/oder betrieblichen Umfeld.
Grundsätzlich bleibt: Die Jugendlichen haben plötzlich einen anderen Tagesablauf und sie müssen erst lernen, sich im Unternehmen zurecht zu finden. Aus diesem Grund, kann eine fixe Zuordnung an die Ausbilderin oder den Ausbilder wichtig sein. Der Lehrling baut eine Vertrauensbeziehung auf und durch Orientierung, Struktur, finden sie sich schneller in den Arbeitsalltag ein.
Über die "Tiefen in der Lehrzeit" sprechen
Höhen und Tiefen in der Lehrzeit erleben die meisten Lehrlinge. Über diese Tiefen könnte und sollte man auch in der Lehrlingsausbildung sprechen. Im 1. Lehrjahr, sind die Lehrlinge schüchtern und sie trauen sich nicht schwierige Themen anzusprechen. Vor allem wissen sie nicht, wie sie etwas sagen sollen. AusbilderInnen könnten die Lehrlinge in einem regelmässigen "Plaudergespräch" dazu ermuntern, über ihre Tiefs in der Ausbildung zu reden.
Ich freue mich immer über Unternehmen, die meine Arbeit in Anspruch nehmen und wo ich als externe Beraterin die Möglichkeit habe, mit den Lehrlingen im 1. Ausbildungsjahr zu sprechen und ich im Gespräch herausfinden kann, wie es ihnen geht, ob etwas unklar ist, wie die Zusammenarbeit ist, was sie beschäftigt usw. Von den Lehrlingen wird das sehr gut angenommen und so kann man schon am Beginn der Lehrzeit Wertschätzung vermitteln und vor allem sieht man zu einem frühen Stadium, ob etwas
verändert oder angepasst werden muss.
Bianca Lettenbichler beratet und begleitet Ausbildungsbetriebe, AusbilderInnen und Lehrlinge. Erhöhung der Ausbildungsqualität und Wertschätzung auf beiden Seiten sind ihr besonders wichtig.
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In ihren Podcasts gibt sie Praxistipps für Ausbilder und Ausbilderinnen von Lehrlingen und Azubis.
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